Langsam nervt sie mich. Die zunehmende Berichterstattung über Hochbegabung. Und vor allem: Wie unglücklich alle Hochbegabten doch sind. Wie die Wirtschaft ihr Potential verschwendet. Wie Überqualifizierte keine Jobs mehr finden, weil sie einfach zu hochbegabt sind. Wie sie leiden. Wie sie ungerecht behandelt werden. Wie ihnen geholfen werden kann: Indem sie den ganzen Tag denken dürfen. Und wie erfolgreich und gut sie dann für die Gesellschaft sind.
Der Hochbegabte als das verkannte Genie, das sich sozial durchbeißen muss und dessen Erfüllung darin besteht, den ganzen Tag nützliche Gedanken zu produzieren. Am besten solche, die wirtschaftlich verwertbar sind. Dann darf er sich auch integriert fühlen, trotz mangelnder sozialer Kompetenz und häufiger Besserwisserei, Arroganz und Überheblichkeit.
Ja, auch ich denke gerne den ganzen Tag über. Manchmal machen mich meine Gedanken allerdings auch traurig. Wenn ich sehe, wie Menschen unnötig und ungerecht auf dieser reichen Erde in Armut und Krankheit leben. Wenn ich sehe, wie Menschen sinnlos in Gewalt versinken. Und vor allem wenn ich die Heuchler höre, die dies zu rechtfertigen suchen mit fadenscheinigen Argumenten. Dann, manchmal, möchte ich das Denken auch ganz gerne abschalten.
Gut, im Regelfall denke ich also ganz gerne. Ich widerspreche auch ganz gerne Autoritäten. Ja, und das hat mich auch schon in Schwierigkeiten gebracht. Bringt es noch, zumal in innere Konflikte.
Ich habe auch ganz gerne Erfolg. Das macht nämlich Spaß und man fühlt sich gut.
Macht mich irgendwas davon zum Hochbegabten?
Nein.
Intelligenz ist nicht das Fundament der Hochbegabung. Sie ist nur ihr Sahnehäubchen.
Das Denken macht mich gegebenenfalls zu einem überdurchschnittlich intelligten Menschen. Wenn ich es schaffe, diese Intelligenz in das Arbeits- und Wirtshaftsleben zu integrieren, dann bin ich kompetent. (Das sind ja die meisten Hochbegabten angeblich nicht. Kompetenz zu erwerben ist aber lediglich eine Frage der Ausdauer und daher der Persönlichkeit. Die lässt sich entwickeln.)
Wer schnell denkt und viele Erfahrungen sammelt, wird Erfolg haben. Er wird sich im Arbeits- und Wirtschaftsleben nützlich machen können. Hochbegabt ist er nicht. Möglicherweise noch nicht einmal begabt.
Begabung aber ist etwas anderes: Sie ist der Wille, sein Potential – und das hat jeder Mensch – zu leben. Dabei hilft Intelligenz und durch Übung gewinnt man darin auch an Kompetenz. Näheres dazu habe ich hier geschrieben.
Hochbegabung ist der Wille, sein gesamtes Potential allen Widerständen zum Trotz in Fülle zu leben. Je kompetenter man diesen Weg beschreitet, desto mehr Frieden erfährt man in sich und mit anderen. Je intelligenter man dies anstellt, in desto farbenprächtigeren Harmonien wird man dieses Motiv ausmalen können. Hiervon kann die Gesellschaft profitieren – wenn sie es zulässt und annimmt.