In Verantwortung vor Gott … eine Mütze.

In einem Internet-Forum der angeblich aufstrebenden High-Potential Generation unserer virtuellen Gesellschaft las ich, dass eine bayerische Rechtsreferendarin, die aus religiöser Überzeugung ein Kopftuch trägt, nicht an den üblichen Aufgaben eines Referendars bei Gericht teilnehmen darf – also Teilnahme an Sitzungen auf der Richterbank bzw. als Vertreterin der Staatsanwaltschaft einschließlich des Befragens von Zeugen, Sitzungsleitung, Erörterung des Sach- und Streitstandes, Plädieren – solange sie ihr Kopftuch trägt. Stattdessen darf sie nur im Zuschauerraum sitzen, wie jede interessierte Öffentlichkeit oder ein Praktikant. Anders nur, wenn sie statt des Kopftuchs Schal und Mütze (!) im Gerichtssaal trägt. Die allermeisten Kommentare zu diesem Beitrag fanden das Vorgehen des bayerischen Staates nachvollziehbar und gerechtfertigt.

“Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, …” – der deutsche Staat bekennt sich mit den allerersten Worten seines obersten Gesetzes zu seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen. Viele der Forums-Kommentare stellen zur Rechtfertigung auf christliche Werte ab. Was würde Gott dazu sagen, dass wir einen Kollegen, der diesem Staat dienen will, demütigen, weil er nach seiner Überzeugung in Verantwortung vor Gott lebt?

Das Urteil, das dieser Demütigung zu Grunde liegt, kann nur darauf beruhen, dass wir die Überzeugung des Kollegen für falsch erachten. Viele der Forums-Kommentare sprechen genau das deutlich aus. Sie urteilen, dass die in freier Verantwortung vor Gott gelebte Überzeugung auf eintausendfünfhundertjährigen Befehlen eines Mannes beruhe (für christliche Werte – die zehn Gebote, das Gebot der Nächstenliebe – gilt nichts anderes, außer, dass die sie erteilenden Männer vor noch längerer Zeit gelebt haben) und ein Symbol der Unterdrückung der Frau sei oder gar eines Selbstmordterrorismus und deshalb falsch. Dem Kollegen wird damit abgesprochen, selber in freier Verantwortung vor Gott über diese Fragen urteilen zu können. Zur Demütigung gesellt sich Entmündigung. Gleichzeitig wird ein Freund-Feind-Bild kreiert: Wer meint, im Staatsdienst ein Kopftuch tragen zu wollen, respektiere die staatliche Ordnung (unseres Grundgesetzes) nicht. Der “Gegenbeweis” ist nicht erlaubt. Eine solche Zuweisung von Eigenschaften zur äußeren Erscheinung nennt man Stigmatisierung. Wir maßen uns das Recht an, zu urteilen, der Kollege könne seine in freier Verantwortung vor Gott gelebte Überzeugung auch ohne Kopftuch leben. Das nennt sich Bevormundung.

Was ist der tiefere Grund für diese Demütigung, Entmündigung, Stigmatisierung und Bevormundung? Aus vielen der Forums-Kommentare spricht ein Gefühl der Bedrohung allein durch die Überzeugung des betroffenen Kollegen. Wer sich durch die Überzeugung eines anderen bedroht fühlt, versucht häufig, eine innere Leere zu verdrängen. Eine aus Verunsicherung und Mangel an eigener Überzeugung entstandene Leere. Das ist das Bild unserer heutigen Gesellschaft: Angst, Verunsicherung, Mangel an Überzeugung. Angesichts dessen ist die Kreierung von Feindbildern – IS, der Kollege mit dem Kopftuch – naheliegend. Sie wird gefördert durch eine von ihrer eigenen Hilflosigkeit ablenkenden Politik und der zugehörigen Medienlandschaft.