“Deutschland tritt ein für einen Sicherheitsbegriff, der wertebasiert ist und die Achtung der Menschenrechte umfasst. Im außenpolitischen Vokabular der Republik reimt sich Freihandel auf Frieden und Warenaustausch auf Wohlstand. … Deutschland profitiert … überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung …, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden. Aus alldem leitet sich Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21. Jahrhundert ab: dieses Ordnungsgefüge, dieses System zu erhalten und zukunftsfähig zu machen.” (Bundespräsident Gaucks Rede zur Münchener Sicherheitskonferenz vollständig lesen: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gauck-rede-im-wortlaut-deutschland-muss-bereit-sein-mehr-zu-tun-12778744.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2)
Freihandel reimt auf Frieden und Warenaustausch auf Wohlstand: Da muss man sich wohl zunächst einen Reim drauf machen. Nur welchen?
Deutschland profitiert überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung: Deutschland ist, so scheint es, trotz wachsender interner Wohlstandsschere, immer noch einer der – relativen – Gewinner der Globalisierung. Wer wagt die Frage zu stellen: Wenn wir derzeit gewinnen, wer verliert derzeit – und was?
Eine offene Weltordnung, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden: Offene Weltordnung bedeutet also Freihandel und Warenaustausch. Nur, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Offene Weltordnung bedeutet nicht, großzügiger Asyl zu gewähren. Nicht, sich stärker für Arbeitsmigranten zu öffnen. Nicht, mehr Demokratie für Europa zu fordern. Nicht, Nachrichtendienste wirksamer öffentlicher Kontrolle zu unterwerfen. Nicht, an der Herstellung einer Weltöffentlichkeit zu arbeiten.
Interessen mit grundlegenden Werten verbinden: Nur schade, dass der Bundespräsident diese Werte nicht benennt. Bis auf die abstrakten Referenzen an Frieden, Stabilität und Menschenrechte wird nicht so ganz klar, welche Werte dankenswerter Weise als Annex mit den Interessen verbunden werden können. Die Interessen erscheinen da schon konkreter: Freihandel, Warenaustausch und Wohlstand. Damit Deutschland – weiterhin – überdurchschnittlich profitiert.
Dieses Ordnungsgefüge, dieses System erhalten und zukunftsfähig zu machen: Die Mission Deutschlands für das 21. Jahrhundert. Das 21. Jahrhundert ist gerade vierzehn Jahre alt. Ein Teenager. Das Ordnungsgefüge und das System erhalten: Eine unausgereifte Vision? Bestehendes zukunftsfähig machen: Von alten, lieb gewordenen Gewohnheiten trennt man sich nur schwer. Und gleichzeitig stellt man manchmal fest, dass die Gewohnheiten nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Sie werden nur mehr mitgeschleppt, doch über Bord werfen erscheint als noch schwerere Last: sich nämlich dem Neuen wahrhaft stellen müssen. Stattdessen flickt man lieber das alte Segel, oder neudeutsch: macht es zukunftsfähig. Das kann bedeuten, dass es das nächste Unwetter noch durchsteht und bis zur nächsten Wahl einigermaßen die Haltung bewahrt. Ob es danach zusammenbricht? ist vom Zukunftsfähigmachen nicht mitumfasst.
“Deutschlands so definiertes Kerninteresse zu verfolgen, während sich die Welt rundherum verändert, das ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Wenn es in den vergangenen Jahren eine Konstante gab, so ist es die Beobachtung, dass wir die Geschwindigkeit des Wandels permanent unterschätzen.” – Dies ist der bemerkenswerte Satz in der Rede des Bundespräsidenten. Leider wird die Konsequenz nicht gezogen: ‘zukunftsfähig machen’ kann nicht ausreichen: Wir müssen einen Umgang finden mit Menschen, die bereit sind, sich selbst zu töten, um unserem Ordnungsgefüge und unserem System Schaden zuzufügen. Wir müssen einen Umgang finden mit Nationen, die nach Industrialisierung, technischem Fortschritt und geostrategischen Machtpositionen streben. Wir müssen erst einmal verstehen, was hinter diesen Phänomenen steckt, bevor wir sie einschätzen können. Unterlassen wir dies, so werden wir den Wandel, seine Geschwindigkeit, seine Ausmaße und vor allem seine Bedeutung für uns weiter unterschätzen.
Wir müssen vorausdenken, innovative Lösungen entwicklen, und vor allem: Mut zeigen für Veränderungen. Mut zeigen zu Veränderungen, von denen wir nicht überdurchschnittlich profitieren. Veränderungen, bei denen Menschenrechte mehr als einen Annex zu Freihandel und Warenaustausch darstellen.